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Handbuch der Rechtsförmlichkeit / Inhalt / Teil B – Ziffer 4

Teil A: Vorbemerkungen zur Rechtsprüfung
  Teil B: Allgemeine Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften  
  1. Sprachliche Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen  
  2. Bezeichnungen  
  3. Zitierweise von Rechtsvorschriften  
  4. Bezugnahme auf andere Texte  
  5. Besondere Hinweise zum Recht der Europäischen Union  
  6. Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen  
  Teil C: Stammgesetze – erstmalige Regelung bestimmter Sachverhalte  
  Teil D: Änderungsgesetze  
  Teil E: Rechtsverordnungen  
  Teil F: Formulierungshilfen für die Änderung von Gesetzentwürfen im Gesetzgebungsverfahren  
  Teil G: Bekanntmachung der Neufassung von Gesetzen und Rechtsverordnungen  
 
  Teil B: Allgemeine Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften
  4. Bezugnahme auf andere Texte
  4.1 Verweisung
 
202 

In Gesetzen oder Verordnungen müssen die Tatbestände und Rechtsfolgen nicht stets in vollem Umfang beschrieben werden. Der Gesetzgeber oder Verordnungsgeber darf auf vorhandene Texte zurückgreifen und auf diese im Wege der Verweisung Bezug nehmen. Verweisungen können sich auf andere Vorschriften oder auf Teile davon beziehen.

203 

Durch die Verweisung werden die in Bezug genommenen Vorschriften (Bezugsnormen) zu einem konstitutiven Bestandteil der verweisenden Regelung (Ausgangsnorm).

204 

Deklaratorische Verweisungen sind Verweisungen, die nur auf andere Vorschriften hinweisen (z. B. „Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte wird durch das Gesetz über die Gerichtsverfassung bestimmt“). Sie ordnen nicht die Geltung dieser Vorschriften an, sondern informieren nur über die bereits geltenden Vorschriften und machen sie u. U. leichter auffindbar. Deklaratorische Verweisungen sollten nur äußerst zurückhaltend verwendet werden, da das Rechtsetzungsverfahren für ein reines Informieren ohne Regelungsabsicht zu aufwendig ist.

205 

Wer eine Vorschrift formuliert und dabei andere Texte im Wege der Verweisung übernimmt, ist für den neu geschaffenen Zusammenhang und für den gesamten Text verantwortlich.

 

Auch wenn der Bezugstext eine geltende Rechtsnorm ist, kommt es für die Verweisung darauf an, daß der Bezugstext sich für eine ergänzende Umschreibung des Regelungsgehalts der Ausgangsnorm eignet, d. h. daß er verweisungstauglich ist.

206 

Grundvoraussetzung für die Verweisungstauglichkeit ist, daß der Bezugstext durch Publikation gesichert ist, also jeder die Möglichkeit hat, sich davon Kenntnis zu verschaffen. Der Bezugstext muß außerdem leicht zugänglich sein. Da der Bezugstext Bestandteil der Ausgangsnorm wird und Rechtsvorschriften nur in deutscher Sprache erlassen werden, darf auch nur auf Texte in deutscher Sprache Bezug genommen werden. Fremdsprachige Texte müssen ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht sein, um auf sie verweisen zu können.

207 

Die Verweisungstechnik hat Vorteile. Verweisungen sind dazu geeignet, Texte kurz und einfach zu halten, da sie Volltextwiederholungen ersparen. Es können unnötige Abweichungen in einzelnen Rechtsvorschriften vermieden werden. Außerdem wird sichergestellt, daß für vergleichbare Sachverhalte dieselben Tatbestandsvoraussetzungen gelten oder dieselben Rechtsfolgen eintreten.

    Beispiel:
   

§ 57 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung:

   

„Für die Fristen gelten die Vorschriften der §§ 222, 224 Abs. 2 und 3, §§ 225 und 226 der Zivilprozeßordnung.“

208 

In manchen Fällen sind Verweisungen unvermeidlich. Gewisse Regelungsinhalte lassen sich praktisch nur durch Verweisung in die Vorschrift einbeziehen. Hierzu gehören vor allem Landkarten, Tabellen und Muster, die nicht als Text darstellbar sind.

209 

Diesen Vorteilen stehen Nachteile gegenüber. Verweisungen zerreißen den Zusammenhang des Textes. Der Gesamtregelungsgehalt wird nicht allein aus der Ausgangsnorm deutlich, sondern ergibt sich erst zusammen mit der Bezugsnorm. Diese Nachteile können gemildert werden, wenn die Ausgangsnorm auf den Inhalt der Bezugsnorm hinweist. So erklärt z. B. § 55 der Verwaltungsgerichtsordnung die „§§ 169, 171a bis 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung“ für anwendbar.

210 

Wenn die Bezugsnorm ihrerseits Verweisungen enthält, müssen neben Ausgangs- und Bezugsnorm weitere Vorschriften herangezogen werden, um zu ermitteln, was eigentlich geregelt wird. Daher sollen gemäß § 35 Abs. 2 GGO II Verweisungen auf Vorschriften unterbleiben, die ihrerseits auf andere Vorschriften verweisen.

  4.2 Zitierweise bei Verweisungen
 
211 

Die Verweisung kann auf Teile desselben Gesetzes oder derselben Rechtsverordnung gerichtet sein (sog. Binnenverweisung). Die Nachteile der Verweisungstechnik fallen hier nicht so ins Gewicht, weil die in der Ausgangsnorm fehlende Information verhältnismäßig einfach aus der Bezugsnorm in demselben Gesetz oder in derselben Rechtsverordnung ergänzt werden kann.

212 

Bei Binnenverweisungen werden die in Bezug genommenen Einzelvorschriften nur mit der Textstelle angeführt, d. h. ohne den Zitiernamen des Gesetzes oder der Rechtsverordnung.

    Beispiel:
   

Hypothekenbanken dürfen außer den in § 1 genannten Geschäften nur folgende Geschäfte betreiben ...

 

Wird innerhalb einer Einzelvorschrift verwiesen, so wird die Paragraphenbezeichnung nicht mit angegeben. Entsprechendes gilt für die niedrigeren Gliederungsstufen wie Absätze und Sätze.

    Beispiel:
   

Verweisung im Paragraphen:
„Der Kostenansatz nach den Absätzen 3 bis 5 dient auch zur Deckung der Kosten der Verwaltungsleistungen, ...“

   

Verweisung im Absatz:
„Im steuerbegünstigten Wohnungsbau darf der übersteigende Betrag angesetzt werden, soweit die Voraussetzungen der Zustimmung nach Satz 3 gegeben sind.“

   

Verweisung im Satz:
„..., soweit sie Bestandteil der in den Nummern 1 bis 3 genannten Verkehrsanlagen oder nach städtebaulichen Grundsätzen ... notwendig sind;“

 

Besonderheiten gelten für Binnenverweisungen zwischen den einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuches (siehe Rn. 199).

213 

Die Verweisung kann auch auf andere Texte gerichtet sein (sog. Außenverweisung). Hierbei kann es sich z. B. um Verweisungen auf Normen in anderen Gesetzen desselben Gesetzgebers handeln. Möglich sind auch Verweisungen auf Normen anderer Gesetzgeber (z. B. Verweisung im Bundesrecht auf Landesrecht) oder von Gesetzen auf Rechtsverordnungen und umgekehrt. Schließlich können auch andere Texte als Rechtsvorschriften in Bezug genommen werden.

214 

Bei Außenverweisungen kann dieVerständlichkeit der Regelung erheblich leiden, da aus der Ausgangsnorm und ihrem Kontext nicht der gesamte Regelungsgehalt ersichtlich wird. Bei solchen Verweisungen sollten die Vor- und Nachteile von Verweisungen besonders sorgfältig abgewogen werden.

215 

Bei der Außenverweisung muß die in Bezug genommene Vorschrift des Gesetzes oder der Rechtsverordnung nach § 34 Abs. 2 GGO II grundsätzlich mit einem Vollzitat angeführt werden, d. h. mit dem Zitiernamen, ggf. dem Datum der Ausfertigung oder Bekanntmachung, der Fundstelle in den Verkündungsblättern des Bundes oder des jeweiligen Landes sowie der letzten Änderung (vgl. Rn. 153 ff.).

    Beispiel:
   

Die Absätze 1 bis 5 gelten nicht, wenn der Arbeitsvertrag unter den Anwendungsbereich des Hochschulrahmengesetzes vom 26. Januar 1976 (BGBl. I S. 185), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. November 1985 (BGBl. I S. 2090), oder das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen vom 14. Juni 1985 (BGBl. I S. 1065) fällt.

216 

Nur wenn das in Bezug genommene Gesetz oder die Rechtsverordnung allgemein bekannt ist (vgl. Rn. 156), genügt gemäß § 34 Abs. 4 GGO II der Zitiername.

    Beispiel:
   

Für die Fristen gelten die Vorschriften der §§ 222, 224 Abs. 2 und 3, §§ 225 und 226 der Zivilprozeßordnung.

 

Dasselbe gilt nach § 34 Abs. 4 Satz 2 GGO II, wenn Vorschriften eines Gesetzes oder einer Verordnung im Gesetzes- oder Verordnungstext wiederholt angeführt werden. Bei Verordnungen reicht es nicht, daß eine Vorschrift in der Eingangsformel im Vollzitat angeführt wird. Für die Zitierweise in der Eingangsformel gelten besondere Regelungen (Rn. 796 ff.), so daß die Zitate in der Eingangsformel und im Vorschriftentext häufig voneinander abweichen.

217 

Wenn für ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung keine Kurzbezeichnung festgelegt wurde, kann als Zitiername nur die vollständige amtliche Bezeichnung des Gesetzes oder der Rechtsverordnung angegeben werden. Es ist nicht zulässig, in der Bezugsnorm bei der ersten Bezugnahme eine Kurzbezeichnung vorzusehen und diese dann für weitere Verweisungen zu verwenden. Kurzbezeichnungen können nur in der Überschrift eines Stammgesetzes oder einer Stammverordnung festgelegt werden. Nur so ist gewährleistet, daß eine einheitliche Kurzbezeichnung besteht, die leicht auffindbar ist.

218 

Wenn eine Rechtsverordnung zur Durchführung eines Gesetzes erlassen wird, das in der Überschrift der Rechtsverordnung genannt wird (Rn. 790), kann im Text der Verordnung bei der Verweisung auf Vorschriften des Gesetzes der Zitiername oder der Zusatz „des Gesetzes“ verwendet werden.

219 

Wird auf private Regelwerke, auf Landkarten oder andere Zusammenstellungen verwiesen, die nicht als Anlage mit abgedruckt sind, muß zusätzlich angegeben werden, wo sie verwahrt sind und wo sie zu beziehen oder einsehbar sind. Dies kann in einer gesonderten Bestimmung des Gesetzes oder der Rechtsverordnung geschehen, wenn an mehreren Stellen darauf verwiesen wird.

    Beispiel:
   

„DIN-Normen, auf die in dieser Verordnung verwiesen wird, sind im Beuth-Verlag GmbH, Berlin und Köln, erschienen und beim Deutschen Patentamt in München archivmäßig gesichert niedergelegt.“

 

Der Hinweis kann auch im Anschluß an die Verweisung erfolgen.

    Beispiel:
   

Der nach § ... bestimmte Lärmschutzbereich ist in einer topographischen Karte im Maßstab 1:50 000 und in Karten im Maßstab 1:5000 dargestellt. Die topographische Karte ist dieser Verordnung als Anlage 2 beigefügt. Die Karten im Maßstab 1:5000 sind bei dem ... (Name und ggf. Adresse der Stelle der Niederlegung) ... archivmäßig gesichert niedergelegt.

  4.3 Analogieverweisung
 
220 

Paßt der Bezugstext nicht wörtlich, so muß dies in derAusgangsnorm zum Ausdruck gebracht werden, damit keine Unklarheiten entstehen.Geschehen kann dies, indem die „entsprechende“ Anwendung des Bezugstextes angeordnet wird (sog. Analogieverweisung).

221 

Die „entsprechende“ Anwendbarerklärung des Bezugstextes reicht jedoch nicht immer aus, den Regelungsinhalt der Ausgangsnorm verständlich zu machen. Deshalb sollten, wenn möglich, diejenigen Abweichungen angegeben werden, die beim Hineinlesen der Tatbestands- bzw. Rechtsfolgenbeschreibung des Bezugstextes in die verweisende Norm zu beachten sind.

    Beispiel:
   

§ 2249 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Nottestament vor dem Bürgermeister): Für die Errichtung gelten die Vorschriften der §§ 2, 4, ... des Beurkundungsgesetzes; der Bürgermeister tritt an die Stelle des Notars.

  4.4 Arten der Verweisung
 
222 

Die Verweisung kann sich auf die Fassung eines Textes zu einem bestimmten Zeitpunkt oder während eines bestimmten Zeitraumes beziehen. In der Regel wird dies die Fassung sein, die bei Inkrafttreten der Ausgangsnorm gilt. Eine solche Verweisung bezeichnet man als starre oder statische Verweisung. Eine Verweisung kann sich aber auch auf die jeweils aktuelle Fassung eines Textes beziehen. Hier spricht man von gleitender oder dynamischer Verweisung.

223 

Eine starre Verweisung auf andere Texte ist zulässig, wenn diese in deutscher Sprache zugänglich und für amtliche Anordnungen geeignet sind.

224 

Durch starre Verweisung kann auch auf Normen anderer Gesetzgeber Bezug genommen werden. Die fehlende Identität der Gesetzgeber ist unbedenklich. Der Gesetzgeber kennt den Inhalt der Bezugsnorm und kann daher entscheiden, ob er sich ihn zu eigen machen will.

225 

Auch starre Verweisungen auf private Regelwerke sind zulässig. Sie sollten jedoch auf Fälle beschränkt werden, in denen nur eine oder wenige technische Regelungen einschlägig sind, deren Änderung in kurzen Abständen nicht zu erwarten ist.

226 

Durch Verweisung kann auch auf Rechtsvorschriften Bezug genommen werden, die außer Kraft getreten oder die wegen Verkündungsfehlern nichtig sind. Für die Verweisung reicht es aus, daß der Bezugstext durch Publikation gesichert ist und jeder die Möglichkeit hat, sich von ihm Kenntnis zu verschaffen. Eine solche Verweisung ist ihrer Natur nach stets eine starre Verweisung, da sich der Bezugstext nicht mehr ändern kann.

227 

Gleitende Verweisungen sind nicht in gleichem Umfang möglich wie starre Verweisungen. Die Bezugsnormen müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, damit auf sie gleitend verwiesen werden kann. Zwischen Ausgangs- und Bezugsnorm muß eine hinreichende Zweckverwandtschaft bestehen. Es muß gewährleistet sein, daß Änderungen der Bezugsnorm nicht dazu führen können, daß sich der Regelungsinhalt der Ausgangsnorm wesentlich ändert.

228 

Unterscheidet sich der Regelungszweck der Bezugsnorm von dem der Ausgangsnorm oder läßt sich die Entwicklung nur schwer voraussehen, so darf nicht gleitend verwiesen werden.

229 

Äußerste Vorsicht und Zurückhaltung ist geboten, wenn auf Normen anderer Gesetzgeber gleitend verwiesen werden soll. Die gleitende Verweisung kann zu einer versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen führen. Bei derartigen Verweisungen kann der Gesetzgeber der Ausgangsnorm die künftige Entwicklung der Bezugsnorm nicht bestimmen. Der Gesetzgeber der Bezugsnorm muß die Auswirkungen seiner Gesetzgebungstätigkeit auf die Ausgangsnorm nicht berücksichtigen.

230 

Im grundrechtsrelevanten Bereich sind gleitende Verweisungen auf Regelungen anderer Gesetzgeber nicht zulässig, da der Gesetzesvorbehalt eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Gesetzgeber fordert.

231 

Auch gleitende Verweisungen auf private Regelwerke (z. B. Festlegungen des Deutschen Instituts für Normung e.V. – DIN –) sind aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig. Der Gesetzgeber darf seine Rechtsetzungstätigkeit auch nicht indirekt auf Private übertragen. Veränderungen sind für den Gesetzgeber nicht vorhersehbar und steuerbar.

232 

Das Recht der Europäischen Union, insbesondere Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften, eignen sich für Verweisungen nur, wenn sie hinreichend bestimmt sind. In der Regel sollte auf Recht der Europäischen Union durch starre Verweisung Bezug genommen werden, insbesondere auf Richtlinien, die den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum belassen. Möglich und sinnvoll ist eine gleitende Verweisung auf Richtlinien und ihre Anlagen, wenn sie technische Regelungen enthalten, die unverändert übernommen werden müssen. Bei diesen Richtlinien kommt auch eine Umsetzung im Wege der Verweisung in Betracht (Rn. 298). Wenn sie oft geändert werden, erspart diese Form der Umsetzung häufige Anpassungen.

    Beispiel:
   

Rasenmäherlärm-Verordnung vom 23. Juli 1987 (BGBl I S. 1687):

   

„(2) Der Schalleistungspegel wird nach Anhang I der Richtlinie 84/538/EWG des Rates vom 17. September 1984 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den zulässigen Schalleistungspegel von Rasenmähern (ABl. EG Nr. L 300 S. 171) ermittelt.

   

...

   

(3) Werden die Anhänge der in Absatz 2 genannten Richtlinie im Verfahren nach Artikel 8 dieser Richtlinie an den technischen Fortschritt angepaßt, so gelten sie in der geänderten, im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Fassung. Die Änderungen gelten vom ersten Tage des dritten auf die Veröffentlichung folgenden Monats an.“

  4.5 Kennzeichnung als starre oder gleitende Verweisung
 
233 

Aus Gründen der Rechtsklarheit sollte sich aus dem Wortlaut der Regelung deutlich ergeben, ob starr oder gleitend verwiesen wird. Starre und gleitende Verweisungen können auf verschiedene Weise kenntlich gemacht werden.

234 

Eine starre Verweisung wird durch die Verwendung des Vollzitats zum Ausdruck gebracht (Rn. 155), ohne daß es eines besonderen Zusatzes bedarf.

235 

Wird auf private Regelwerke Bezug genommen, so wird die starre Verweisung durch die genaue Bezeichnung der Ausgabe oder des Datums der Regelung ausgedrückt.

    Beispiel:
   

Für die Einheiten in Anlage 1 gelten die in DIN 1301 Teil 1, Ausgabe Dezember 1985, wiedergegebenen Definitionen und Beziehungen.

236 

Auch bei Verweisungen auf allgemein bekannte Gesetze oder Verordnungen kann die starre Verweisung durch Verwendung des Vollzitats zum Ausdruck gebracht werden. Soll das Gesetz nur mit dem Zitiernamen angegeben werden (§ 34 Abs. 4 Satz 1 GGO II), wird die starre Verweisung nach § 34 Abs. 5 GGO II durch einen entsprechenden Hinweis, z. B. „in der am ... geltenden Fassung“ kenntlich gemacht. Dasselbe gilt, wenn bei wiederholter Anführung eines Gesetzes oder einer Verordnung nur der Zitiername (§ 34 Abs. 4 Satz 2 GGO II) verwendet wird oder wenn Verordnungen und Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften mit dem Kurzzitat (Rn. 288) angeführt werden.

237 

Um eine gleitende Verweisung kenntlich zu machen, reicht es in der Regel aus, das in Bezug genommene Gesetz oder die Rechtsverordnung mit dem Zitiernamen anzuführen oder Verordnungen und Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften entsprechend mit dem Kurzzitat. Daraus kann der Adressat schließen, daß die jeweils aktuelle Fassung der Bezugsnorm herangezogen werden soll.

238 

Ist nach den Zitierregeln das Vollzitat zu verwenden, etwa bei der ersten Nennung von nicht allgemein bekannten Gesetzen, Rechtsverordnungen oder gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakten, so muß der „Gleitwille“ durch den Zusatz „in der jeweils geltenden Fassung“ zum Ausdruck gebracht werden. Ist der Bezugstext nicht des Gleitens fähig, so muß das Zitat durch einen anderen geeigneten Ausdruck ergänzt werden, etwa „maßgebend sind ... in ihrer jeweils jüngsten im ... veröffentlichten Fassung“.

239 

Bei hinlänglich bekannten Gesetzen muß die Bezugsnorm nicht immer ausdrücklich angeführt werden. So wird z. B. durch die Anwendbarerklärung der „bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über den Fund“ in zulässiger Weise auf den Wortlaut dieser Bestimmungen verwiesen, ohne daß der Zitiername „Bürgerliches Gesetzbuch“ und die gemeinten §§ 965 bis 984 ausdrücklich genannt werden. Derartige Verweisungen müssen seltener als ein genaues Zitat aktualisiert werden. Andererseits können sie durch die Datenbank des Bundesrechts bei juris nicht in der Weise dokumentiert werden, daß die konkreten Vorschriften nachgewiesen werden (vgl. Rn. 29). Diese „halbexpliziten“ Verweisungen bringen insofern nicht die erwünschte Klarheit.

  4.6 Bezugnahme auf technische Regeln
 
240 

Auf technische Regeln privater Regelsetzer sollte grundsätzlich mit Hilfe von Generalklauseln Bezug genommen werden. Denn Verweisungen auf technische Regeln privater Regelsetzer sind teils aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig, teils aus urheberrechtlichen Gründen problematisch. Technische Regeln im Text selbst würden die Rechtsvorschrift mit einer Fülle fachsprachlicher Detailregeln belasten. Zusätzlich entstünde ein erheblicher Novellierungsbedarf, um mit der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung Schritt zu halten.

241 

Von den zur Zeit verwendeten Generalklauseln sollten in Zukunft nur noch folgende Generalklauseln verwendet werden:

 

allgemein anerkannte Regeln der Technik,

 

Stand der Technik und

 

Stand von Wissenschaft und Technik.

 

Mit diesen drei Grundformen werden – in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht in der Kalkar-Entscheidung (BVerfGE 49, 89 ff.) entwickelte Auslegung – bestimmte, gegeneinander abgegrenzte Anforderungsniveaus bezeichnet. Welche der drei Grundformen zu wählen ist, richtet sich nach dem Gefährdungspotential der Materie, die geregelt werden soll, und seiner technischen Beherrschbarkeit.

242 

Die Generalklausel „Stand von Wissenschaft und Technik“ umschreibt das höchste Anforderungsniveau und wird daher in Fällen mit sehr hohem Gefährdungspotential verwendet.

243 

Die Generalklausel „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ wird für Fälle mit vergleichsweise geringem Gefährdungspotential oder für Fälle verwendet, die auf Grund gesicherter Erfahrungen technisch beherrschbar sind.

244 

Das Anforderungsniveau bei der Generalklausel „Stand der Technik“ liegt zwischen dem Anforderungsniveau der Generalklausel „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ und dem Anforderungsniveau der Generalklausel „Stand von Wissenschaft und Technik“.

245 

Einschränkende Formulierungen wie „allgemein anerkannte Regeln der Sicherheitstechnik“ sind nur dann sinnvoll, wenn sie wirklich zur Klarstellung erforderlich sind.

 

Im Recht der Europäischen Gemeinschaften wird neuerdings die Formulierung „die besten verfügbaren Techniken“ verwendet. Dies entspricht weitgehend der Generalklausel „Stand der Technik“.

246 

Generalklauseln haftet immer der Nachteil einer gewissen Unbestimmtheit an. Dieser Nachteil kann gemildert werden, wenn die Generalklauseln anhand der folgenden Inhaltsbestimmungen verwendet werden:

 

Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind schriftlich fixierte oder mündlich überlieferte technische Festlegungen für Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, die nach herrschender Auffassung der beteiligten Kreise (Fachleute, Anwender, Verbraucher und öffentliche Hand) geeignet sind, das gesetzlich vorgegebene Ziel zu erreichen, und die sich in der Praxis allgemein bewährt haben oder deren Bewährung nach herrschender Auffassung in überschaubarer Zeit bevorsteht.

 

Wirtschaftliche Gesichtspunkte sind im Rahmen der gesetzlichen Zielvorgabe als Teil der Verhältnismäßigkeitserwägungen zu berücksichtigen.

247 

Stand der Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, der nach herrschender Auffassung führender Fachleute das Erreichen des gesetzlich vorgegebenen Zieles gesichert erscheinen läßt. Im Rahmen der gesetzlichen Zielvorgabe sind, als Teil der Verhältnismäßigkeitserwägungen, wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in Teilbereichen, je nach gesetzlicher Zielvorgabe, allerdings nur nachrangig. Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen oder vergleichbare Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen müssen sich in der Praxis bewährt haben oder sollten – wenn dies noch nicht der Fall ist – möglichst im Betrieb mit Erfolg erprobt worden sein.

248 

Stand von Wissenschaft und Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlichster Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, die nach Auffassung führender Fachleute aus Wissenschaft und Technik auf der Grundlage neuester wissenschaftlich vertretbarer Erkenntnisse im Hinblick auf das gesetzlich vorgegebene Ziel für erforderlich gehalten werden und das Erreichen dieses Ziels gesichert erscheinen lassen. Dabei können im Bereich der Gefahrenabwehr wirtschaftliche Gesichtspunkte – als Teil der Verhältnismäßigkeitserwägungen – keine Rolle spielen. Im Bereich der Vorsorge hat diese Vorrang vor wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

249 

Ein weiterer Nachteil der Generalklauseln ist, daß Bürger und Verwaltung erst die in Frage kommenden Regeln aus der Fülle der Regeln unterschiedlichster Stellen ermitteln müssen. Dieser Unsicherheit kann begegnet werden, wenn schon im Gesetz Vorkehrungen getroffen werden, damit der Kreis der auf jeden Fall anwendbaren Regeln näher bestimmt werden kann.

250 

Das Gesetz kann einmal selbst diejenigen technischen Regeln bezeichnen, bei deren Einhaltung widerleglich vermutet wird, daß damit den Anforderungen der Generalklauseln entsprochen wird (sog. einstufige Vermutung).

    Beispiel:
   

§ 16 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 730): „Die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik wird vermutet, wenn bei Anlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Abgabe

   

1. von Elektrizität die technischen Regeln des Verbandes Deutscher Elektrotechniker,

   

2. von Gas die technischen Regeln des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs e. V.

   

verwendet worden sind.“

 

Die einstufige Vermutung hat jedoch den Nachteil, daß der regelsetzenden Stelle eine erhebliche Machtposition eingeräumt wird. Zugunsten der Regeln privater Regelsetzer sind daher einstufige Vermutungen nur dann zu empfehlen, wenn sich diese verpflichtet haben, ein öffentliches Verfahren analog DIN 820 einzuhalten und der staatliche Einfluß durch einen Vertrag hinreichend abgesichert ist.

251 

Vorzuziehen ist es, in der Rechtsvorschrift nur eine Institution zu benennen, die befugt ist, in einem bestimmten Verfahren die technischen Regeln zu ermitteln und zu benennen (sog. zweistufige Vermutung)

    Beispiel:
   

Nach § 52 Abs. 2 der Gefahrstoffverordnung vom 26. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1782) gehört es zu den Aufgaben des Ausschusses für Gefahrstoffe, die in § 17 Abs. 1 der Verordnung genannten Regeln und Erkenntnisse zu ermitteln. Seine Beschlüsse sind daher insoweit verbindlich, als in ihnen die Regeln und Erkenntnisse festgestellt werden, die § 17 für maßgeblich erklärt. Mit der Bekanntmachung der ermittelten Regeln und Erkenntnisse durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 der Gefahrstoffverordnung entsteht für sie die widerlegliche Vermutung, daß es sich um allgemein anerkannte Regeln oder gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne von § 17 Abs. 1 handelt. Entsprechendes gilt für Bekanntmachungen über Feststellungen des Ausschusses zum Stand der Technik.

 

Die zweistufige Vermutung hat den Nachteil, daß die technischen Regeln für Bürger und Verwaltung erst durch das Zusammenwirken von Vermutungsregeln und Veröffentlichung bzw. Bekanntmachung ersichtlich werden. Sie mindert aber das Risiko eines Machtmißbrauchs und ermöglicht es, die Vermutungswirkung auf besonders bedeutsame technische Regeln zu beschränken.

252 

Wird die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik vorgeschrieben und eine Vermutung zugunsten bestimmter Regeln aufgestellt, so schließt diese Vermutung die Anwendung anderer Regeln nicht aus. Eine Ausnahmeregelung, die die Anwendung anderer allgemein anerkannter Regeln der Technik zuläßt, ist daher nicht erforderlich. Die Vermutung führt hier jedoch dazu, daß dem Adressaten der Rechtsvorschrift die materielle Beweislast obliegt, daß die von ihm angewendeten Regeln allgemein anerkannte Regeln der Technik sind.

253 

In den Fällen, in denen die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik vorgeschrieben wird, kann jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebieten, Ausnahmen zuzulassen, wenn die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist. Ggf. kann die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung an bestimmte Voraussetzungen gebunden werden (z. B. Begutachtung durch Sachverständige, behördliche Entscheidungen).

    Beispiele:
   

Ausnahmeregelung ohne Einschränkung:
§ 3 Abs. 1 Satz 3 des Gerätesicherheitsgesetzes:
„Von den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften darf abgewichen werden, soweit die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist.“

   

Ausnahmeregelung mit Einschränkung:
§ 8 Abs. 1 der Dampfkesselverordnung:
„Die zuständige Behörde kann für Dampfkesselanlagen im Einzelfall aus besonderen Gründen Ausnahmen von § 6 Abs. 1 zulassen, wenn die Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist.“

254 

Eine Ausnahmeregelung zugunsten neuer Entwicklungen ist erforderlich, wenn mit der Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik ein bestimmtes Anforderungsniveau vorgeschrieben wird. Für Neuentwicklungen kann es naturgemäß noch keine allgemein anerkannten Regeln der Technik geben. Viel zu langwierig wäre es, wenn für eine Neuentwicklung vor ihrer Zulassung erst technische Regeln entwickelt werden müßten. Dadurch könnten Konkurrenzprobleme entstehen. Eine darauf zugeschnittene Ausnahmeklausel muß daher vorsehen, daß neue Entwicklungen zugelassen werden, wenn das in der Generalklausel vorgeschriebene Sicherheitsniveau erreicht wird.

    Beispiel:
   

Die zuständige Behörde kann auf Antrag des Herstellers für Dampfkesselanlagen oder Anlageteile Ausnahmen von § 6 Abs. 1 zulassen, wenn dies dem technischen Fortschritt entspricht und die Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist (§ 8 Abs. 2 der Dampfkesselverordnung).

255 

Reichen andererseits die allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht aus, um für die zu schützenden Rechtsgüter besondere Gefahren abzuwenden, so kann vorgesehen werden, daß die Behörde im Einzelfall bestimmte zusätzliche Anforderungen stellen kann.

    Beispiel:
   

§ 7 Satz 1 der Dampfkesselverordnung:
„Dampfkesselanlagen müssen ferner den über § 6 Abs. 1 hinausgehenden Anforderungen genügen, die von der zuständigen Behörde im Einzelfall zur Abwendung besonderer Gefahren für Beschäftigte oder Dritte gestellt werden.“

256 

Über Generalklausel und Vermutungsregeln sollten nur solche technischen Regeln in Bezug genommen werden, die in allgemein zugänglicher Form veröffentlicht sind.