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Handbuch der Rechtsförmlichkeit / Inhalt / Teil A – Ziffer 1

Teil A: Vorbemerkungen zur Rechtsprüfung
  1. Die Zuständigkeit des Bundesministeriums der Justiz für die Rechtsprüfung  
  2. Begriffliche Klarstellungen  
  3. Hilfen bei der Vorbereitung der Entwürfe und bei der Rechtsprüfung  
  4. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit  
  Teil B: Allgemeine Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften  
  Teil C: Stammgesetze – erstmalige Regelung bestimmter Sachverhalte  
  Teil D: Änderungsgesetze  
  Teil E: Rechtsverordnungen  
  Teil F: Formulierungshilfen für die Änderung von Gesetzentwürfen im Gesetzgebungsverfahren  
  Teil G: Bekanntmachung der Neufassung von Gesetzen und Rechtsverordnungen  
 
  Teil A: Vorbemerkungen zur Rechtsprüfung
  1. Die Zuständigkeit des Bundesministeriums der Justiz für die Rechtsprüfung
 
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Angesichts der schwachen Stellung des Reichsjustizministeriums in der Weimarer Republik und in Reaktion auf das nationalsozialistische Unrechtsregime wurde gefordert, daß eine zentrale und unabhängige Stelle die Entwürfe von Gesetzen und Verordnungen in rechtlicher Hinsicht überprüft. Zunächst erhielt das Rechtsamt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets diese Zuständigkeit, danach das Bundesministerium der Justiz. Im Kabinettsbeschluß vom 21. Oktober 1949 wurde festgelegt:

„Das Kabinett beschließt die Beteiligung des Justizministeriums bei den Vorarbeiten von Gesetzentwürfen zur Prüfung der Rechtsförmlichkeit und Einheitlichkeit der Gesetzessprache. Das gleiche gilt für von der Bundesregierung oder den Bundesministerien zu erlassende Rechtsverordnungen."

 

Im ersten Tätigkeitsbericht der Bundesregierung „Deutschland im Wiederaufbau" wird 1950 diese Aufgabe wie folgt beschrieben:

„Erfahrungsgemäß neigen die Fachministerien dazu, die durch ein Gesetz zu regelnden Sachverhalte unter dem Gesichtspunkt der Bedürfnisse ihrer Verwaltung zu sehen. Bei allem Streben der Verwaltungsministerien nach Recht und Verfassungstreue kann in einem wirklichen demokratischen Rechtsstaat auf eine Stelle nicht verzichtet werden, die alle Gesetzentwürfe ... überprüft. Das Justizministerium, frei von Bindungen an Verwaltungsinteressen, allein auf die Wahrung des Rechts bedacht, ist zur Erfüllung dieser Aufgabe in besonderem Maße berufen. ..."

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Die Prüfungszuständigkeit ist jetzt in § 23 Abs. 2 Nr. 3, §§ 38, 67, 80 Abs. 2 Satz 2 des Besonderen Teils der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO II) verankert. Sie wird ergänzt durch das Recht des Justizministers oder der Justizministerin, im Kabinett gegen einen Gesetz- oder Verordnungsentwurf oder eine Maßnahme der Bundesregierung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit geltendem Recht Widerspruch zu erheben (§ 26 Abs. 2 GOBReg).

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Das Bundesministerium der Justiz begleitet mit der Rechtsprüfung die Rechtsetzungsaktivitäten der einzelnen Bundesministerien. Es ist Prüfungsinstanz vor dem Kabinettsbeschluß zu Gesetzentwürfen der Bundesregierung, vor Erlaß von Ministerverordnungen und vor Erlaß von Regierungsverordnungen. Die meisten der beschlossenen Gesetze gehen auf Initiativen der Bundesregierung zurück. 315 der 443 in der 13. Legislaturperiode beschlossenen und verkündeten Gesetze beruhten auf Regierungsentwürfen. Zählt man die 57 Gesetze hinzu, die auf Entwürfen der Koalitionsfraktionen beruhten und sich auf Vorarbeiten der Regierung stützten, so wird deutlich, daß sich der unmittelbare Einfluß der Regierung (in der 13. WP) auf etwa 84 % der verkündeten Gesetze erstreckte.

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Der Umfang des geltenden Bundesrechts und seine Veränderungen sind immer wieder Gegenstand kritischer Äußerungen. Je nach Sicht und Intention der Kritiker wird mehr oder weniger differenziert und sachkundig kritisiert: Es gebe zu viele Vorschriften. Sie seien zu detailliert. Die Normenflut stranguliere die Wirtschaft. Sie enge die Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen Bürgers ein. Die Rechtsetzung habe zu häufig Alibifunktion. Sie beschränke sich auf Minimalkompromisse. Die Rechtstatsachen würden nicht oder nicht sorgfältig genug ermittelt. Bei der Formulierung der Vorschriften werde nicht genügend auf ihre spätere Durchführung in der Praxis geachtet. Der Gesetzgeber reagiere zu langsam. Die Vorschriften würden zu schnell und zu häufig geändert. Die Aufgaben des Gesetzgebers, des Verordnungsgebers und der Gerichtsbarkeit würden zunehmend verwischt. Die Wirksamkeit der Vorschriften werde nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr beobachtet etc.

 

Auf diese kritischen Äußerungen kann und soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Eine grundsätzliche Betrachtung zur Funktion des Rechts und zum gegenwärtigen Rechtsetzungsverfahren würde den Rahmen und die Aufgabenstellung dieses Handbuchs sprengen. Gleichwohl wird diese Kritik hier erwähnt, denn die Funktion des Bundesministeriums der Justiz als zentrale Rechtsprüfungsinstanz und seine Empfehlungen sind nicht isoliert zu sehen. Auch wenn das Handbuch ganz auf die praktische Anwendung ausgerichtet ist, so gibt es doch an verschiedenen Stellen Bezüge zu Grundfragen des Rechts einschließlich des Rechtsetzungsverfahrens, die auch bei den erwähnten kritischen Äußerungen eine Rolle spielen.

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Folgende Auszüge aus der Statistik sollen zeigen, wie differenziert die Problematik zu betrachten ist, die meistens unter dem Schlagwort „Normenflut“ zusammengefaßt wird: Das geltende Bundesrecht besteht (Ende 1998) aus etwa 1 900 Stammgesetzen und 3 000 Stammverordnungen. Die Rechtsakte sind unterschiedlich umfangreich. Das Bürgerliche Gesetzbuch z. B. umfaßt 2 353 Paragraphen; viele Gesetze und Verordnungen enthalten dagegen weniger als 5 Paragraphen. Alle Stammgesetze zusammen bestehen aus etwa 45 000 einzelnen Vorschriften, alle Verordnungen zusammen aus etwa 37 000 einzelnen Vorschriften. In der 13. Legislaturperiode sind 443 Gesetze beschlossen und verkündet worden. Dabei handelt es sich zum größten Teil um Änderungsgesetze. Insgesamt sind 285 Stammgesetze neu hinzugekommen; 80 Gesetze sind aufgehoben worden. 1 345 der geltenden Gesetze sind in der 13. Legislaturperiode unverändert geblieben. Dafür sind andere um so häufiger geändert worden. Das Einkommensteuergesetz z. B. ist in den 4 Jahren der 13. Legislaturperiode insgesamt 19mal geändert worden.

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Die Prüfung durch das Bundesministerium der Justiz ist eine rechtliche Prüfung. Sie bezieht sich auf die Regelungsinhalte und die Regelungsform. Sie setzt schon bei der Vorfrage an, ob die geplante Regelung in dem vorgesehenen Umfang notwendig ist, um das angegebene Regelungsziel zu erreichen. Im Mittelpunkt der Rechtsprüfung steht dann, ob die Regelungen mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Die Prüfung konzentriert sich auf die Verfassungsmäßigkeit, die Vereinbarkeit mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, soweit der EG-Bezug offenkundig ist oder von dem vorlegenden Ressort entsprechende Fragen gestellt werden, sowie auf die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht. Ferner wird geprüft, ob sich die vorgesehenen Regelungen widerspruchslos in die bestehende Rechtsordnung einfügen: Ist die Systematik richtig? Wird die Hierarchie der Normen beachtet? Sind die Bezüge klar (z. B. starre oder gleitende Verweisungen)? Werden doppelte und widersprüchliche Regelungen vermieden? Sind die Regelungsinhalte eindeutig und für die Normadressaten verständlich formuliert? Ist das Verhältnis von Regel und Ausnahme sachgerecht? Sind die Sanktionen angemessen? Sind die Vorschriften problemlos anwendbar? Wird das Vertrauen auf die Beständigkeit rechtlicher Regelungen durch zu häufige Änderungen gestört?

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Bei den verschiedenen Prüfungsschritten muß stets auf die jeweiligen Anforderungen an Form und Gestaltung geachtet werden (z. B. bei den Eingangsformeln, den Zitierweisen, den Änderungsbefehlen, den Inkrafttretensregelungen). Der herkömmliche Begriff „Rechtsförmlichkeitsprüfung“ wird manchmal dahingehend mißverstanden, daß nur die Einhaltung der äußeren Form zu prüfen sei. Deshalb wird zunehmend von „Rechtsprüfung“ gesprochen, um zum Ausdruck zu bringen, daß die Prüfung nicht nach Inhalt und Form getrennt wird.

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Die Rechtsprüfung wird im Bundesministerium der Justiz von verschiedenen Referaten wahrgenommen, die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisiert sind – im wesentlichen den Ressortzuständigkeiten entsprechend – und die in der Prüfungstätigkeit erfahren sind (sog. Mitprüfungsreferate). Für Grundsatzfragen der Rechtsförmlichkeit ist ein gesondertes Referat zuständig, das auch die Entwürfe des Bundesministeriums der Justiz überprüft. Besondere Arbeitseinheiten des Ministeriums werden beteiligt, wenn es um übergreifende Fragen geht (z. B. zum allgemeinen Verwaltungsrecht, zum Datenschutz, zu Kosten und Gebühren, zu Straf- und Bußgeldtatbeständen in Nebengesetzen oder zum Verfahrensrecht). Das Verfassungsrecht ist seiner Bedeutung wegen regelmäßig Maßstab der Rechtsprüfung und obliegt den Verfassungsrechtsreferaten, insbesondere dem Grundrechtsreferat.

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Die Fachreferate der federführenden Ministerien können das Bundesministerium der Justiz schon zu den Vorarbeiten hinzuziehen (§ 23 Abs. 2 Nr. 3 GGOII). So können in einem frühen Stadium der Entwürfe Fragen – bis hin zu Einzelpunkten – geklärt werden. In der Regel werden die Gesetz- und Verordnungsentwürfe nach Beendigung der Vorarbeiten dem Bundesministerium der Justiz übersandt mit der ausdrücklichen Bitte um Rechtsförmlichkeitsprüfung. Das Mitprüfungsreferat beteiligt – soweit erforderlich – andere betroffene Referate im Bundesministerium der Justiz (z. B. die Verfassungsreferate) und faßt alle Stellungnahmen zusammen. Hat das federführende Ressort die Beanstandungen berücksichtigt und ist die Prüfung abgeschlossen, so bescheinigt das Mitprüfungsreferat des Bundesministeriums der Justiz, daß keine rechtlichen Bedenken bestehen (Prüfungsattest). Das federführende Ministerium kann nun in dem Anschreiben der Kabinettsvorlage nach § 40 Abs. 1 GGO II bei der Zuleitung an das Kanzleramt vermerken, daß der Entwurf rechtlich geprüft worden ist. Es wird damit nicht nur bestätigt, daß das Bundesministerium der Justiz Gelegenheit zur Prüfung hatte, sondern daß es seine Prüfung abgeschlossen hat und keine Einwendung in rechtlicher Hinsicht erhebt.

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Die Rechtsprüfung in dem geschilderten Umfang erfordert Zeit, vor allem, wenn weitere Arbeitseinheiten beteiligt werden müssen. § 38 Abs. 2 GGO II erinnert deshalb daran, dem Bundesministerium der Justiz genügend Zeit zur Prüfung und Erörterung der Fragen der Rechtsförmlichkeit zu lassen und dies bei der Übersendung der Entwürfe zu bedenken. Es liegt auch im eigenen Interesse der Ressorts, wenn sie in rechtlicher Hinsicht beraten und wenn ihre Entwürfe sorgfältig geprüft werden.

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Das Bundesministerium der Justiz kann gemäß § 38 Abs. 3 GGO II Empfehlungen zur einheitlichen rechtsförmlichen Gestaltung der Entwürfe geben. Seit 1979 gab es Arbeitshilfen zur Gestaltung des Bundesrechts. Sie sind 1991 durch das Handbuch der Rechtsförmlichkeit abgelöst worden.

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Die Darstellung des Handbuches orientiert sich am Aufbau der Gesetze und der Verordnungen, beginnt also jeweils mit der Überschrift und endet mit den Geltungszeitregeln. Es wird zwischen Erstregelungen und Änderungen unterschieden. Zur besseren Übersicht werden die Empfehlungen für Gesetzentwürfe und für Verordnungsentwürfe getrennt. Bei den Verordnungen werden nur noch die spezifischen Besonderheiten hervorgehoben. An den Anfang gestellt sind allgemeine Ausführungen zur Sprache und zur Gestaltung, zu den Bezeichnungen und Zitierweisen, zu Verweisungen und Verordnungsermächtigungen. Das Handbuch der Rechtsförmlichkeit erschließt sich nicht nur über das Stichwortverzeichnis, sondern auch über die Inhaltsübersicht, bei der für jede Randnummer ein Stichwort angegeben ist.

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Das Handbuch berücksichtigt alle maßgebenden rechtlichen Vorgaben einschließlich des verfassungsrechtlichen Rahmens und der Vorschriften des Besonderen Teils der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO II). Das Vorhaben des Bundesministeriums des Innern, die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien zu überarbeiten, ist noch nicht abgeschlossen. Deshalb wird in diesem Handbuch weiterhin Bezug genommen auf die GGO II in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 1976 (GMBl S. 550), zuletzt geändert durch Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 25. März 1996 (GMBl S. 449). Außerdem ist die bisherige Rechtsetzungspraxis ausgewertet und in die Empfehlungen des Handbuchs eingearbeitet worden.