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Handbuch der Rechtsförmlichkeit / Inhalt / Teil D – Ziffer 1

Teil A: Vorbemerkungen zur Rechtsprüfung
  Teil B: Allgemeine Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften  
  Teil C: Stammgesetze – erstmalige Regelung bestimmter Sachverhalte  
  Teil D: Änderungsgesetze  
  1. Allgemeine Bemerkungen zur Änderungsgesetzgebung  
  2. Das Ablösungsgesetz  
  3. Die Einzelnovelle  
  4. Das Mantelgesetz  
  5. Das Einführungsgesetz  
  Teil E: Rechtsverordnungen  
  Teil F: Formulierungshilfen für die Änderung von Gesetzentwürfen im Gesetzgebungsverfahren  
  Teil G: Bekanntmachung der Neufassung von Gesetzen und Rechtsverordnungen  
 
  Teil D: Änderungsgesetze
  1. Allgemeine Bemerkungen zur Änderungsgesetzgebung
 
508 

Rechtsetzungsvorhaben, die in ihrem Themenbereich nicht bereits Recht gleichen oder niedrigeren Ranges vorfinden, sind selten geworden. Der überwiegende Teil der Rechtsetzungstätigkeit liegt heute nicht in dem Erlaß erstmaliger Regelungen, sondern in der Änderung des vorhandenen Rechts (vgl. Rn. 2).

509 

Bei jedem Änderungsvorhaben müssen die Einheitlichkeit und die Übersichtlichkeit der Rechtsordnung gewahrt werden:

  a)

Dazu müssen die Anpassungen durch Änderung des entsprechenden Stammgesetzes vorgenommen werden. Das Nebeneinander verschiedener Stammgesetze, die – im weiten Sinne – dieselbe Rechtsmaterie betreffen, bedeutet Unübersichtlichkeit und führt zu Anwendungsproblemen.

  b)

Auch über die Ressortgrenzen hinweg müssen alle anstehenden Änderungsvorhaben miteinander verbunden werden. Läßt sich in naher Zukunft die Notwendigkeit einer erneuten Änderung bereits absehen, so ist besonders streng zu prüfen, ob zwei getrennte Änderungsgesetze wirklich unumgänglich sind oder ob sie nicht in einem Rechtsetzungsakt zusammengefaßt werden können (Konzentration der Rechtsetzung).

  c)

Soweit verschiedene Stammgesetze eine Rechtsmaterie unnötig aufspalten, sind sie zusammenzufassen (Konzentration des Rechts).

  d)

Um die fortwährende Bereinigung des Rechts sicherzustellen und eigenständige Rechtsbereinigungsgesetze überflüssig zu machen, ist bei jedem Änderungsvorhaben zu prüfen, ob weitere Vorschriften des zu ändernden Gesetzes überflüssig geworden sind oder vereinfacht werden können. Besonders zu achten ist auf veraltete Bezeichnungen, gegenstandslos gewordene Vorschriften, insbesondere Übergangsvorschriften, Regelungsreste in Änderungsgesetzen etc. Über den Umfang und das Ergebnis dieser Prüfung sollte in der Begründung des Entwurfs berichtet werden (Bereinigung des Rechts).

  e)

Änderungen sollen beständige Regelungen ergeben. Deshalb sollen Änderungen vermieden werden, die ihrerseits änderungsanfällig sind. Die gesetzestechnischen Vorteile der Verweisung sind zu nutzen (Steigerung der Bestandskraft des Rechts).

510 

Für die Änderung des geltenden Rechts stehen mehrere Grundformen (Ablösungsgesetz, Einzelnovelle, Mantelgesetz) zur Verfügung, die sich in ihrer Struktur erheblich voneinander unterscheiden. Welche dieser Grundformen sich im Einzelfall am besten eignet, hängt von dem Änderungspensum ab, das bewältigt werden muß. Die richtige Wahl der Grundform setzt daher voraus, daß zunächst Klarheit über den Umfang der notwendigen Änderungen besteht.

511 

Zu unterscheiden ist dabei zwischen Haupt- und Folgeänderungen. Haupt- und Folgeänderungen ergeben zusammengenommen das Änderungspensum des Rechtsetzungsvorhabens.

512 

Hauptänderungen dienen der unmittelbaren Umsetzung eines rechtspolitischen Ziels. Werden durch die Hauptänderungen andere Vorschriften unrichtig, so sorgen Folgeänderungen für die Stimmigkeit der neuen Regelungen mit dem übrigen Recht. Folgeänderungen werden nie in einem selbständigen Rechtsetzungsverfahren vorgenommen, sondern nur zusammen mit den Hauptänderungen.

513 

Die notwendigen Folgeänderungen sind besonders sorgfältig zu ermitteln. Wegen der Komplexität der Rechtsordnung sind häufig mehr Folgeänderungen notwendig als zunächst angenommen. Viele Folgeänderungen (z. B. Anpassung der Verweisungen) lassen sich mit Hilfe der Datenbank des Bundesrechts bei juris ermitteln (Rn. 24 ff.).

514 

Änderung des geltenden Rechts bedeutet, daß der Wortlaut bestehender, genau bestimmter Texte durch einen neuen Wortlaut ausgetauscht wird. Eine Änderung gliedert sich gesetzestechnisch in zwei Teile, die streng voneinander zu unterscheiden sind. Der eine Teil ist der sog. Rahmentext. Er enthält die Anweisungen, an welcher Stelle in den Vorschriften eines Stammgesetzes Änderungen vorgenommen werden sollen und was – technisch – zu geschehen hat. Die Anweisung (z. B. In § ... wird das Wort „...“ durch die Wörter „...“ ersetzt) nennt man auch Änderungsbefehl.

515 

Zum anderen besteht die Änderung aus einem regelungssprachlichen Teil. Dieser enthält alles das, was neuer Bestandteil des Stammgesetzes werden soll. Bei dem regelungssprachlichen Teil sind die allgemeinen Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften (Teil B) zu beachten.

516 

Änderungsgesetze mit Rahmentext und regelungssprachlichem Teil sind aus sich heraus häufig schwer verständlich. Sie bestehen meist nur aus Änderungsbefehlen mit einzelnen Wörtern, Satzteilen oder Sätzen etc., die nicht nach Bedeutung geordnet, sondern entsprechend der Paragraphenfolge des Stammgesetzes aneinandergereiht sind. Aus den Änderungsgesetzen selbst wird nicht ersichtlich, wie der gesamte Wortlaut aussieht, der in Zukunft gelten soll.

517 

Diese Änderungstechnik hat Nachteile. Die Änderungen können nur im Vergleich mit dem geltenden Wortlaut des Stammgesetzes verstanden werden. Der künftige Wortlaut des Gesetzes muß also vom Adressaten erst zusammengefügt werden. Auch kann vor der Öffentlichkeit eine Verschlechterung der Rechtslage verschleiert werden. Minderungen staatlicher Leistungen können in sog. „Sicherungs-“ oder Anpassungsgesetzen“ versteckt werden, bei denen regelmäßig ohne einen genauen Vergleich zwischen alter und neuer Rechtslage die Art der Anpassung auch nicht annähernd erkannt werden kann.

518 

Wer Änderungsgesetze formulieren soll, muß zunächst die künftig gewollte stimmige Fassung des Gesetzes entwerfen und diese dann wieder aufgliedern in Zitate der bisherigen Fassung und eine Liste der erforderlichen Umformulierungen. Schon in der Phase der Entwürfe sind deshalb Synopsen unerläßlich, in denen der bisherige und der künftige Wortlaut sowie die Änderungen aufgeführt werden (vgl. dazu Rn. 31). Synopsen sind auch zur Erleichterung der Gesetzgebungsarbeit gemäß § 48 Abs. 2 GGO II für die zuständigen Bundestagsausschüsse zu fertigen. Diese Gegenüberstellungen sind jedoch in der Regel umfangreicher als die genannten dreispaltigen Synopsen.

519 

Die Vorteile der Änderungstechnik liegen darin, daß die tatsächlichen Änderungen und die entsprechenden Textstellen hervorgehoben werden und damit der Änderungsvorgang transparent wird. Diejenigen, die regelmäßig mit dem Vollzug der Gesetze befaßt sind, können andererseits durch die Änderungstechnik direkt das Umlern- und das Änderungspensum erkennen. Sie sind nicht auf den Textvergleich zwischen alter und neuer Fassung angewiesen.

520 

Die Vor- und Nachteile der Änderungstechnik müssen gegeneinander abgewogen werden. Die Vorteile der Änderungstechnik überwiegen ihre Nachteile regelmäßig, wenn

  a)

die Änderungen für die Adressaten hervorgehoben werden sollen,

  b)

die Rechtsetzung auf das aktuelle Änderungspensum konzentriert werden soll und

  c)

der Umfang der Textänderungen des betroffenen Stammgesetzes gering ist.

 

Wann diese Voraussetzungen anzunehmen sind, wird von Fall zu Fall zu beurteilen sein.

521 

Liegt der Schwerpunkt des Rechtsetzungsvorhabens in der umfassenden Neugestaltung eines Sachgebietes, so könnte eine Formulierung im reinen Änderungsstil unübersichtlich werden und u. U. die rechtspolitische Bedeutung des Rechtsetzungsvorhabens nicht genügend hervorheben. Dem Adressaten würde ein vollständiger Gesetzeswortlaut erst zur Verfügung stehen, wenn dem Änderungsgesetz noch eine Bekanntmachung (Rn. 709 ff.) folgt. Bei umfassenden Neugestaltungen sollte deshalb ein neues Stammgesetz geschaffen und das bisher geltende Recht aufgehoben werden. Ein solches Gesetz, das an die Stelle eines oder mehrerer geltender Gesetze tritt, wird als Ablösungsgesetz bezeichnet (vgl. Rn. 524).

522 

Beschränkt sich das Rechtsetzungsvorhaben auf die Änderung des geltenden Rechts, so ist es durchgängig in der Änderungssprache zu formulieren. Dabei können durchaus auch einzelne Vorschriften neu gefaßt werden. Gesetzestechnisch stehen die Einzelnovelle (vgl. Rn. 537 ff.) und das Mantelgesetz (vgl. Rn. 736 ff.) zur Verfügung.

523 

Handelt es sich bei der Neuregelung um eine größere Kodifikation, so können die notwendigen Folgeänderungen und das in der Regel recht umfangreiche Übergangsrecht in einem eigenen Einführungsgesetz zusammengefaßt werden. Vorhandene Einführungsgesetze können als Standort für Übergangsregelungen genutzt werden, die bei Änderung des Stammgesetzes notwendig werden (zu Einführungsgesetzen vgl. Rn. 776 ff.).