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Handbuch der Rechtsförmlichkeit / Anhang / Anhang 4

Anhang 1:
Richtlinien für die Fassung von Vertragsgesetzen und vertragsbezogenen Verordnungen
  Anhang 2:
Leitsätze zur Erforderlichkeit bußgeldrechtlicher Sanktionen, insbesondere im Verhältnis zu Maßnahmen des Verwaltungszwangs vom 2. März 1983
 
  Anhang 3:
Prüffragen zur Notwendigkeit, Wirksamkeit und Verständlichkeit von Rechtsetzungsvorhaben des Bundes vom 11. Dezember 1984
 
  Anhang 4:
Gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften – Interinstitutionelle Vereinbarung vom 22. Dezember 1998
 
 
  Anhang 4 (zu Rn. 40)
  Gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften

Interinstitutionelle Vereinbarung vom 22. Dezember 1998 (ABl. EG 1999 Nr. C 73 S. 1)

  DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION UND DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN –

gestützt auf die Erklärung (Nr. 39) zur redaktionellen Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, die am 2. Oktober 1997 von der Regierungskonferenz verabschiedet wurde und der Schlußakte des Vertrags von Amsterdam beigefügt worden ist, in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) Eine klare, einfache und genaue Abfassung der gemeinschaftlichen Rechtsakte ist für die Transparenz der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften sowie für deren Verständlichkeit in der Öffentlichkeit und den Wirtschaftskreisen unerläßlich. Sie ist auch notwendig für eine ordnungsgemäße Durchführung und einheitliche Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten.

(2) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfordert der Grundsatz der Rechtssicherheit, der zur gemeinschaftlichen Rechtsordnung gehört, daß die Rechtsakte der Gemeinschaft klar und deutlich sind und ihre Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar ist. Dieses Gebot gilt in besonderem Maße, wenn es sich um einen Rechtsakt handelt, der finanzielle Konsequenzen haben kann und den Betroffenen Lasten auferlegt, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen durch diesen Rechtsakt auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen.

(3) Es empfiehlt sich daher, einvernehmlich Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften festzulegen. Diese Leitlinien sollen den Gemeinschaftsorganen bei der Annahme von Rechtsakten sowie denjenigen innerhalb der Gemeinschaftsorgane als Richtschnur dienen, die an der Ausarbeitung und Abfassung von Rechtsakten beteiligt sind, gleichviel ob es sich um die Erstellung der Erstfassung eines Textes oder um die verschiedenen Änderungen handelt, die an dem Text im Laufe des Rechtsetzungsverfahrens vorgenommen werden.

(4) Begleitend zu diesen Leitlinien werden geeignete Maßnahmen getroffen, um deren ordnungsgemäße Anwendung sicherzustellen, wobei diese Maßnahmen von jedem Organ jeweils für seinen Bereich anzunehmen sind.

(5) Die Rolle, die die Juristischen Dienste der Organe, einschließlich ihrer Rechts- und Sprachsachverständigen bei der Verbesserung der redaktionellen Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsakte spielen, sollte verstärkt werden.

(6) Diese Leitlinien ergänzen die von den Organen bereits unternommenen Bemühungen, die Zugänglichkeit und Verständlichkeit der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften insbesondere durch die amtliche Kodifizierung von Rechtstexten, die Neufassung und die Vereinfachung bestehender Texte zu verbessern.

(7) Diese Leitlinien sind als ein Instrument für den internen Gebrauch der Organe anzusehen. Sie sind nicht rechtsverbindlich –

  NEHMEN EINVERNEHMLICH FOLGENDE LEITLINIEN AN:
  Allgemeine Grundsätze
 
    1.

Die gemeinschaftlichen Rechtsakte werden klar, einfach und genau abgefaßt.

    2.

Bei der Abfassung der Gemeinschaftsakte wird berücksichtigt, um welche Art von Rechtsakt es sich handelt, und insbesondere, ob er verbindlich ist oder nicht (Verordnung, Richtlinie, Entscheidung/Beschluß, Empfehlung o. a.).

    3.

Bei der Abfassung der Akte wird berücksichtigt, auf welche Personen sie Anwendung finden sollen, um diesen die eindeutige Kenntnis ihrer Rechte und Pflichten zu ermöglichen, und von wem sie durchgeführt werden sollen.

    4.

Die Bestimmungen der Akte werden kurz und prägnant formuliert, und ihr Inhalt sollte möglichst homogen sein. Allzu lange Artikel und Sätze, unnötig komplizierte Formulierungen und der übermäßige Gebrauch von Abkürzungen sollten vermieden werden.

    5.

Während des gesamten Prozesses, der zur Annahme der Akte führt, wird bei der Abfassung der Entwürfe dieser Akte darauf geachtet, daß hinsichtlich Wortwahl und Satzstruktur dem mehrsprachigen Charakter der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften Rechnung getragen wird; spezifische Begriffe oder die spezifische Terminologie der nationalen Rechtssysteme dürfen nur behutsam verwendet werden.

    6.

Die verwendete Terminologie muß kohärent sein, und zwar ist auf Kohärenz sowohl zwischen den Bestimmungen ein und desselben Akts als auch zwischen diesem Akt und den bereits geltenden Akten, insbesondere denjenigen aus demselben Bereich, zu achten.

   

Dieselben Begriffe sind mit denselben Worten auszudrücken und dürfen sich dabei möglichst nicht von der Bedeutung entfernen, die sie in der Umgangssprache, der Rechtssprache oder der Fachsprache haben.

  Aufbau des Rechtsakts
 
    7.

Alle Gemeinschaftsakte von allgemeiner Art werden unter Zugrundelegung einer Standardstruktur abgefaßt (Titel – Präambel – verfügender Teil – gegebenenfalls Anhänge).

    8.

Die Titel von Akten enthalten eine möglichst knapp formulierte und vollständige Bezeichnung des Gegenstands, die nicht zu falschen Schlüssen in bezug auf den Inhalt des verfügenden Teils führen darf. Gegebenenfalls kann dem Titel ein Kurztitel folgen.

    9.

Die Bezugsvermerke sollen die Rechtsgrundlage des Aktes und die wichtigsten Verfahrensschritte bis zu seiner Annahme angeben.

  10.

Zweck der Erwägungsgründe ist es, die wichtigsten Bestimmungen des verfügenden Teils in knapper Form zu begründen, ohne deren Wortlaut wiederzugeben oder zu paraphrasieren. Sie dürfen keine Bestimmungen mit normativem Charakter und auch keine politischen Willensbekundungen enthalten.

  11.

Die Erwägungsgründe werden numeriert.

  12.

Der verfügende Teil eines verbindlichen Aktes darf weder Bestimmungen ohne normativen Charakter, wie Wünsche oder politische Erklärungen, noch Bestimmungen enthalten, durch die Passagen oder Artikel der Verträge wiedergegeben oder paraphrasiert oder geltende Rechtsvorschriften bestätigt werden.

 

Die Akte dürfen keine Bestimmungen enthalten, in denen der Inhalt anderer Artikel angekündigt oder der Titel des Aktes wiederholt wird.

  13.

Gegebenenfalls wird am Anfang des Aktes ein Artikel vorgesehen, um den Gegenstand und den Anwendungsbereich des betreffenden Aktes festzulegen.

  14.

Wenn die in dem Akt verwendeten Begriffe ihrem Gehalt nach nicht eindeutig sind, empfiehlt es sich, die Definitionen solcher Begriffe in einem einzigen Artikel am Anfang des Aktes aufzuführen. Diese Definitionen dürfen keine eigenständigen Regelungselemente enthalten.

  15.

Beim Aufbau des verfügenden Teils wird so weit wie möglich eine Standardstruktur (Gegenstand und Anwendungsbereich – Definitionen – Rechte und Pflichten – Bestimmungen zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen – Verfahrensvorschriften – Durchführungsmaßnahmen – Übergangs- und Schlußbestimmungen) eingehalten.

   

Der verfügende Teil wird in Artikel sowie – je nach Länge und Komplexität – in Titel, Kapitel und Abschnitte gegliedert. Enthält ein Artikel eine Liste, so sollte jeder einzelne Punkt dieser Liste vorzugsweise mit einer Nummer oder einem Buchstaben statt mit einem Gedankenstrich versehen werden.

  Interne und externe Bezugnahmen
 
  16.

Bezugnahmen auf andere Akte sollten so weit wie möglich vermieden werden. Wenn eine Bezugnahme erfolgt, so wird der Akt oder die Bestimmung, auf den bzw. die verwiesen wird, genau bezeichnet. Überkreuzverweise (Bezugnahme auf einen Akt oder auf einen Artikel, der wiederum auf die Ausgangsbestimmung verweist) und Bezugnahmen in Kaskadenform (Bezugnahme auf eine Bestimmung, die wiederum auf eine andere Bestimmung verweist) sind ebenfalls zu vermeiden.

  17.

Eine Bezugnahme im verfügenden Teil eines verbindlichen Aktes auf einen nicht verbindlichen Akt hat nicht zur Folge, daß letzterer verbindlich wird. Wenn der Verfasser dem nicht verbindlichen Akt ganz oder teilweise bindende Wirkung verleihen möchte, empfiehlt es sich, den betreffenden Wortlaut so weit wie möglich als Teil des verbindlichen Aktes wiederzugeben.

  Änderungsrechtsakte
 
  18.

Änderungen eines Aktes werden klar und deutlich formuliert. Die Änderungen erfolgen in Form eines Textes, der sich in den zu ändernden Akt einfügt. Vorzugsweise sind ganze Bestimmungen (Artikel oder Untergliederungen eines Artikels) zu ersetzen und nicht Sätze, Satzteile oder Wörter einzufügen oder zu streichen.

   

Ein Änderungsrechtsakt darf keine eigenständigen Sachvorschriften enthalten, die sich nicht in den zu ändernden Akt einfügen.

  19.

Ein Akt, dessen Hauptzweck nicht in der Änderung eines anderen Aktes besteht, kann in fine Änderungen anderer Akte enthalten, die sich aus dem Neuerungseffekt seiner eigenen Bestimmungen ergeben. Handelt es sich um umfangreiche Änderungen, so empfiehlt sich die Annahme eines gesonderten Änderungsaktes.

  Schlußbestimmungen, Aufhebungsklauseln und Anhänge
 
  20.

Die Bestimmungen betreffend Termine, Fristen, Ausnahmen, Abweichungen und Verlängerungen sowie die Übergangsbestimmungen (insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen des Aktes auf bestehende Sachverhalte) und die Schlußbestimmungen (Inkrafttreten, Umsetzungsfrist, Beginn und gegebenenfalls Ende der Anwendung des Aktes) werden genau abgefaßt.

   

Die Bestimmungen über die Fristen für die Umsetzung und die Anwendung der Akte sehen ein als Tag/Monat/Jahr angegebenes Datum vor. Bei Richtlinien werden diese Fristen so festgelegt, daß ein angemessener Umsetzungszeitraum gewährleistet ist.

  21.

Überholte Akte und Bestimmungen werden ausdrücklich aufgehoben. Bei der Annahme eines neuen Aktes sollten Akte und Bestimmungen, die durch diesen neuen Akt unanwendbar oder gegenstandslos werden, ausdrücklich aufgehoben werden.

  22.

Die technischen Elemente des Aktes werden in den Anhängen aufgeführt, auf die im verfügenden Teil des Aktes einzeln Bezug genommen wird. Die Anhänge dürfen keine neuen Rechte oder Pflichten vorsehen, die im verfügenden Teil nicht aufgeführt sind.

   

Die Anhänge werden unter Zugrundelegung einer Standardstruktur abgefaßt.

  SIE VEREINBAREN FOLGENDE DURCHFÜHRUNGSMASSNAHMEN:

Die Organe treffen die internen organisatorischen Maßnahmen, die sie für eine korrekte Anwendung dieser Leitlinien als erforderlich erachten.

Die Organe treffen hierzu insbesondere folgende Maßnahmen:

  a)

Sie beauftragen ihre Juristischen Dienste, binnen eines Jahres nach Veröffentlichung dieser Leitlinien einen gemeinsamen Leitfaden für die Praxis auszuarbeiten, der für diejenigen Personen bestimmt ist, die an der Abfassung von Rechtstexten mitwirken;

  b)

sie gestalten ihre jeweiligen internen Verfahren so, daß ihre Juristischen Dienste, einschließlich ihrer Rechts- und Sprachsachverständigen, rechtzeitig jeweils für das eigene Organ redaktionelle Vorschläge im Hinblick auf die Anwendung dieser Leitlinien unterbreiten können;

  c)

sie fördern die Einrichtung von Redaktionsstäben in ihren am Rechtsetzungsverfahren beteiligten Einrichtungen oder Dienststellen;

  d)

sie sorgen für die Aus- und Fortbildung ihrer Beamten und sonstigen Bediensteten auf dem Gebiet der Abfassung von Rechtstexten, wobei vor allem die Auswirkungen der Mehrsprachigkeit auf die redaktionelle Qualität ins Bewußtsein gerückt werden müssen;

  e)

sie fördern die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, um das Verständnis für die besonderen Erwägungen, die es bei der Abfassung der Texte zu berücksichtigen gilt, zu verbessern;

  f)

sie fördern die Entwicklung und Verbesserung der Hilfsmittel, die die Informationstechnologie für die Abfassung von Rechtstexten bietet;

  g)

sie setzen sich für eine gute Zusammenarbeit ihrer jeweiligen mit der Überwachung der redaktionellen Qualität betrauten Dienststellen ein;

  h)

sie beauftragen ihre Juristischen Dienste, in regelmäßigen Abständen für das jeweilige Organ einen Bericht über die gemäß den Buchstaben a) bis g) getroffenen Maßnahmen zu erstellen.